Psalm 90, 12: „Lehre uns, unsere Zeit zu nutzen, damit wir weise werden.“ —-
Was würde ich tun, wenn ich nur noch einen Tag zu leben hätte? Diese Frage wurde bereits vor 45 Jahren an 12 Berufs- und Oberschulen in 5 deutschen Bundesländern im Rahmen des Religionsunterrichts gestellt; für die schriftliche Antwort war eine halbe Stunde anberaumt. Die Teilnahme war freiwillig. Insgesamt 530 Schüler im Alter von 15 bis 20 Jahren beteiligten sich, 95 verweigerten eine Antwort. Günther Klempnauer veröffentlichte die Antworten in seinem Buch Wenn ich nur noch einen Tag zu leben hätte (Kreuz Verlag, 1977). Sie reichten von der Hinwendung zu Gott und guten Taten bis zu Tumult, Verzweiflung und Selbstmord.
Wie würdest du auf den Eingangstext, das Gebet Moses, reagieren? „Weise werden“ bedeutet in diesem Zusammenhang, heute etwas zu tun oder zu lassen, weil ich auf das Morgen keinen Zugriff habe. Die Bibel fordert uns immer wieder zum Heute auf, weil aus dem Morgen schnell ein Nie wird. Der Volksmund verweist auf das Schieben auf die „lange Bank“ des Teufels. Jesus hat seinen Jüngern in den dreieinhalb Jahren nach seiner Taufe immer wieder bewusst gemacht, wie wichtig es ist, an jedem Tag für das Reich Gottes bereit zu sein. Seit meiner Jugendzeit hat mich Jesu Begegnung mit dem reichen Jüngling immer wieder sehr nachdenklich gemacht. Er fragt Jesus, „Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ (Mk 10,17). Am Ende fordert Jesus ihn auf: „Verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen […] und komm, folge mir nach! Er aber wurde betrübt […] und ging traurig davon“ (V. 21–22).
Und es gibt noch viel mehr Gleichnisse, in denen Jesus genau dieses Thema anspricht: Im Gleichnis vom verlorenen Sohn nimmt der ältere Sohn nicht am Fest teil, sondern bleibt verärgert draußen, obwohl er nie das Vaterhaus verlassen hat. Alle zehn Jungfrauen warten auf das Kommen des Bräutigams und schlafen ein. Doch fünf haben keine Ölreserven für die Lampen dabei, im Glauben, ihr Öl reiche aus. Sie versäumen schließlich die Teilnahme am Hochzeitsfest.
Diese Einstellung, heute anzugehen, was dir morgen vielleicht verwehrt bleibt, rückt Jesus immer wieder in den Vordergrund. Das sollte uns Lehre genug sein, unsere Zeit zu nutzen, statt sie verstreichen zu lassen.
Text: Joachim Hildebrandt
© Advent-Verlag Lüneburg – mit freundlicher Genehmigung